Das Wetter schaut ja gar nicht so schlecht aus! Nach Ankunft am Flughafen Heathrow und einem Mittagsstopp unterwegs fahren wir mit unserem Kleinbus nun durch die grüne Landschaft von Kent zu unserem ersten Gartenbesuch: Great Dixter steht heute auf unserem Programm. Da der Nachmittag schon fortgeschritten ist, haben wir die farbenfrohe Anlage fast für uns allein. Der Gartenbuchautor Christopher Lloyd wurde 1921 in Great Dixter geboren und wuchs in dem von Sir Edwin Lutyens restaurierten und gestalteten Anwesen auf. Lutyens arbeitete im Auftrag von Christopher Lloyd‘s Vater Nathaniel Lloyd und verband die unterschiedlichen Gebäude mit der sie umgebenden Landschaft und schuf auf unterschiedlichen Ebenen harmonische Gartenräume, die durch Mauern und Hecken voneinander abgegrenzt sind. Nathaniel Lloyd liebte akkurat in Form geschnittene Eiben – sein Sohn respektierte dies und band sie in seine späteren Gartenplanungen ein. Christopher Lloyd’s Interesse galt aber in erster Linie der Gestaltung von Rabatten, die fast das ganze Jahr Blüten zeigen. Seine Kombinationen von Sträuchern, Stauden und Kletterpflanzen mit einjährigen Blütenpflanzen wurde als ‚Lloyd-Mix‘ bekannt und kann hier auch nach seinem Tod im Jahr 2006 weiter bewundert werden: mittlerweile kümmert sich eine eigens gegründete Privatstiftung nicht nur um den Erhalt der Gebäude sondern auch um die gärtnerische Gestaltung von Great Dixter ganz im Sinn des grossen Gartenjournalisten.
Auf unserer Fahrt zum Hotel streift uns eine Regenwolke für einige Augenblicke – England halt – aber schon kurz danach ist es wieder trocken, Wir beziehen unser Domizil für die nächsten beiden Nächte und geniessen dort unser Abendessen.
Frische Luft – blauer Himmel – Sissinghurst bei Sonne – was wollen wir eigentlich mehr! Das Anwesen von Vita Sackville-West und ihrem Mann Harold Nicolson ist wohl einer der berühmtesten Gärten der Welt – und das war er schon, als ihn seine Besitzer in den 1930er Jahren buchstäblich aus dem Nichts in wenigen Jahren erschufen und für die Öffentlichkeit zugänglich machten. Wer kennt ihn nicht, den weissen Garten, auch wenn er nicht der erste seiner Art war. Wir besteigen den Turm und geniessen den Ausblick über das Areal, das heute nur deshalb besichtigt werden kann, weil Vita’s Sohn das Anwesen an den National Trust überschreiben konnte und so die Erbschaftssteuer umging, die eine Zerschlagung des Ensembles unumgänglich gemacht hätte.
Mit vielen neuen Eindrücken werden wir nun weiter zum Mittagessen fahren – halt, da fehlt doch jemand?! Ein Ehepaar hat über die Gartenpracht die Zeit vergessen und so starten wir mit ziemlicher Verspätung zu einem gemütlichen Pub, den unsere Susan ausfindig gemacht hat. Den ‚Spotted Dog‘ können wir wirklich wärmstens empfehlen.
Der Nachmittag gehört Hever Castle und seinen Gärten. Hier machte einst Heinrich VIII. Anne Boleyn den Hof. 1903 erwarb William Waldorf Astor das 25 ha grosse Areal mit seinen Gebäuden. Er träumte von einem mittelalterlichen Schloss mit modernstem Komfort und brauchte viel Platz, um seine Antikensammlung, die er im Laufe seiner Tätigkeit in Italien gesammelt hatte, angemessen repräsentieren zu können. So entstand die beeindruckende Garten- und Parkanlage, die heute ein beliebtes Ausflugsziel der Engländer zum Flanieren, erholen und picknicken ist und auch schöne Motive für Werbefotografen und Hochzeitspaare aus aller Welt liefert.
Unser Abendessen krönt heute ein ganz besonderer Genuss: unsere ‚Pünktlichkeitssünder‘ laden uns als ‚Wiedergutmachung‘ zu einem Glas Sekt ein – aber nicht irgendein Sekt wird uns hier kredenzt, sondern englischer Sekt aus Kent. Jetzt können wir alle mitreden: ein guter Tropfen und er hat uns ausgezeichnet geschmeckt – vielen Dank nochmals den edlen Spendern.
Heute Morgen nehmen wir Abschied von unserem gemütlichen Brandshatch Place Hotel. Auf unserem Weg in die englische Hauptstadt wollen wir noch einige weitere Gartenstopps einlegen, aber der erste Halt ist in einem kleinen pittoresken Dorf mit einer Hauptstrasse, die durch eine Furt verläuft. Fussgänger, Radler und Autos können eine Brücke benutzen, sie können sich aber auch nasse Füsse oder Reifen holen und das Wasser durchqueren. Auch der pittoreske Friedhof bietet Einblicke in die englische Lebensart und die allgegenwärtige dazu gehörende Prise Humor der Briten.
Pashley Manor – erst seit den 1990er Jahren für die Öffentlichkeit zugänglich, erweist sich für uns alle als wahres Juwel. Ursprünglich handelt es sich um einen viktorianischen Garten, der jedoch in den letzten 20 Jahren modernisiert und 1999 zum schönsten Garten Englands gekürt wurde. Kunstobjekte finden hier ihren Platz in der Natur, Wasser- und Rasenflächen bilden eine harmonische Einheit und eindrucksvolle Bepflanzungen runden das Ganze ab. Dazu lädt die herrliche Terrasse zur Mittagspause mit Ausblick ein und die Küche ist ausgezeichnet. Wir sind begeistert!
Am frühen Nachmittag legen wir einen letzten Halt in Kent ein: Emmett’s Garden, einer der höchstgelegenen Gärten der Region, bietet uns eine wunderbare Fernsicht auf die grüne und fruchtbare Grafschaft. Hier ist der richtige Platz für einen alpinen Gartenteil und auch viele exotische Bäume aus Asien und Amerika fühlen sich in dieser Höhenlage und dem etwas raueren und kühleren Klima wohl.
Nach unserem gemütlichen Spaziergang machen wir es uns noch einmal in unserem Bus bequem, denn die Fahrt nach London wird etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen. In einem der Autobahntunnel hat es einen folgenschweren Unfall gegeben, der eine Totalsperre des wichtigen Motorways zwischen den Fährhäfen am Kanal und der Hauptstadt nach sich gezogen hat und nun für ein gehöriges stundenlanges Verkehrschaos auf den Hauptstrassen der Region sorgt. Für uns bedeutet das Glück im Unglück: unser Kleinbus kann auch die kleinen Strassen befahren und wir erreichen London auf echten Schleichwegen mit wunderschönen Ausblicken auf die malerische Landschaft, verträumte Fachwerkbauten und idyllische Orte. Zudem liefern sich unsere Reiseleiterin Susan und unser Fahrer komödiantische Rededuelle über den besten Weg im Einbahnstrassen-Wirrwarr zu unserem Hotel – Loriot hätte seine Freude gehabt und wir haben mittunter Tränen gelacht. Schliesslich erreichen wir unser St. Giles Hotel in der Londoner Innenstadt, es ist gross, es ist hektisch, aber nur wenige Schritte von der nächsten U-Bahn Station entfernt. Somit ist die Lage ideal für eigene Unternehmungen und jeder verbringt den ersten Abend nach eigener Lust und Laune in der britischen Millionenmetropole.
Für heute haben wir uns etwas Besonderes vorgenommen: wir wollen die ‚grünen‘ Seiten von London erkunden – oder zumindest einen kleinen Teil davon. Sicherheitshalber wird auch noch die Regenjacke eingepackt, denn leider ist es ein trüber Tag, aber wir haben Glück – es bleibt den ganzen Tag über trocken. Zunächst führt uns Susan in die Nähe der St. Paul’s Cathedral, wo kleine ehemalige Kirchhöfe und zwischen Häuserzeilen versteckte Ruheoasen auf uns warten.
Dann geht es weiter durch einige urige Gässchen – man hat nicht das Gefühl, in einer pulsierenden Weltstadt zu sein. Schliesslich stehen wir vor einem grossen, schmiedeeisernen Tor – für die Öffentlichkeit immer nur für eine kurze Zeit über die Mittagszeit geöffnet, aber wir werden schon erwartet. Die Inner Temple Gardens blicken auf einer Seite auf die Themse, an den anderen Seiten sind sie von historischen Gebäuden der englischen Anwaltskammer umgeben. So wird die Rasenfläche in der Mittagspause gerne von den Advokaten als Picnic Ground genutzt. Uns interessieren aber in erster Linie die phantastische Bepflanzung – liebevoll gepflegt von der deutschen Chefgärtnerin Andrea Brunsendorf, die hier seit Jahren den Spagat zwischen gärtnerischem Esprit und Durchsetzung der Ideen beim Aufsichtsrat der Anwaltskammer schafft - und das mit Bravour und unter Aufsicht von Boris, ihrem freundlichen Vierbeiner, der seinem Frauchen auf Schritt und Tritt folgt. Mit einem kleinen Augenzwinkern erzählt sie uns so manche Anekdote von Begebenheiten im alltäglichen Umgang mit der Jurisprudenz , berichtet von ihrem Werdegang und wie sie es geschafft hat, als Ausländerin diesen Posten zu bekommen und seit Jahren zu halten.
Die Zeit vergeht hier wie im Flug, aber schliesslich müssen wir uns doch losreissen. Durch verschlungene Innenhöfe bringt uns Andrea zur nächsten Bushaltestelle und wir fahren weiter zu unserem nächsten Ziel: dem 2015 eröffneten Sky Garden. Das Hochhaus ist durch seine gekrümmte Form bei den Londonern sehr umstritten, aber mittlerweile erfreut sich die Aussichtsplattform grosser Beliebtheit. Nach Überprüfung unserer Reservierung (ohne Reservierung kein Einlass) und Sicherheitskontrollen wie am Flughafen bringt uns der Lift auf ca. 155m Höhe. Hier hat man nicht nur einen hervorragenden 360° Ausblick über die Stadt, sondern kann auch exotische Pflanzen bewundern und neben ihnen eine kleine Pause einlegen. Schade, dass die Sicht nicht so klar ist wie am Vortag in Kent, aber trotzdem finden wir genügend lohnende Fotomotive.
Wir fahren wieder einige Stationen mit dem Doppeldecker und wollen nun einige royale Parks der Stadt kennenlernen. So schlendern wir zunächst durch einen Teil des St. James’s Park, stossen auf die prachtvoll geschmückte Allee The Mall, kontrollieren von den Memorial Gardens aus, ob Queen Elizabeth II. zu Hause ist – ja, der Buckingham Palace ist entsprechend beflaggt – und wandern durch den Green Park. Von dort geht es mit öffentlichen Verkehrsmitteln weiter zum Regent’s Park. Am späten Nachmittag besuchen wir hier noch Queen Mary’s Gardens – schade, dass die Rosenblüte noch in den Kinderschuhen steckt – und einige legen bei den Park Square Gardens noch einen kurzen Besichtigungsstopp ein. Susan, danke für deine Hilfe bei der Organisation und diesen wundervollen Tag.
Die U-Bahn bringt uns zurück zum Hotel. Die meisten verbringen den Abend in einem urigen Pub oder gemütlichen Lokal in der Nähe und unsere Beine freuen sich, dass sie sich ausruhen dürfen. Heute haben wir wirklich genug für unsere Fitness getan.
Rasch bringt uns die U-Bahn an diesem Morgen zum Sloane Square im Stadtteil Chelsea, von hier sind es nur wenige Gehminuten zur ‚Mutter aller Gartenschauen‘, der Chelsea Flower Show. Noch schnell einen Katalog gekauft, zur Orientierung und als Souvenir, und schon stürzen wir uns ins Getümmel. Aber wir sind ja in England, kein unnötiges Gedränge oder Geschiebe, sondern höfliches Plätze tauschen, damit jeder mal in der ersten Reihe fotografieren oder Pflanzlisten und Beschreibungen von den freundlichen Helfern der Modellgärten erhalten kann.
Welcher Trend lässt sich 2016 erkennen? Ich würde es umschreiben mit ‚der Klimawandel lässt grüssen‘. Zukunftsforscher, Biologen und Botaniker prophezeien, dass England durch den Klimawandel viel an Feuchtigkeit verlieren wird, dadurch wird der berühmte englische Rasen wohl nur mit grossen Schwierigkeiten und vielen zusätzlichen Wassergaben überleben können und in den Gärten werden Gräser und trockenliebende eher mediterrane Pflanzen die Oberhand gewinnen. Die Gestalter der interessanten Modellgärten haben diese Überlegungen nicht nur in ihre Entwürfe einbezogen sondern voll ausgelebt.
Im grossen Pavillon zeigen die Blumenzüchter ihre schönsten und neuesten Schöpfungen, einige Überseegebiete wie Jamaica und Südafrika stellen ihre vielfältige Flora in besonderen Schaubildern vor und überall erhält man beim Erwerb eines Samentütchens zusätzlich gute Tipps zur Pflanzung. Mir hat es besonders der Stand des Verbands der Blumenarrangeure angetan, eine Vereinigung von Floristen, die in tagelanger mühevoller Arbeit einen altenglischen Pavillon im Stil des ausgehenden 19. Jahrhunderts dekoriert haben. Die Arbeit hat sich ausgezahlt, sie wurden mit einer der begehrten Goldmedaillen belohnt.
Susan und unser Transferbus erwarten uns schon. Auf dem Weg zum Flughafen wollen wir an diesem Morgen noch einem Höhepunkt am südwestlichen Rand von London einen Besuch abstatten: dem Botanischen Garten von Kew. Er ist wohl der bedeutendste und vielfältigste botanische Garten der Welt. Im 17. Jahrhundert wurde das Areal zunächst als Standort für ein Jagdschlösschen ausgesucht, im 18. Jahrhundert von William Kent dann umgestaltet, von Frederick Prince of Wales mit vielfältigen exotischen Gehölzen bepflanzt und mit verschiedenen Bauten von William Chambers versehen. Sir Joseph Banks wurde dann Ende des 18. Jahrhunderts erster Direktor von Kew und initiierte zahlreiche Expeditionen in alle Welt zur Erforschung der lokalen Flora. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Kew dem Staat übereignet, wuchs im Lauf der Zeit und erhielt weitere Gebäude, das letzte Ende des 20. Jahrhunderts. Heute widmet sich Kew in erster Linie dem Erhalt von Pflanzen und unterhält dafür eines der besten Forschungszentren der Welt.
Jährlich verzeichnet der Botanische Garten rund eine Million Besucher, die den 122 ha grossen Park mit seinen Spazierwegen, Rasenflächen, Themengärten und Gewächshäusern geniessen - und natürlich die ungeheure Vielfalt an Pflanzen und Bäumen – auch wir bestaunen ausführlich diese einmalige Pracht. Viel zu schnell vergeht die Zeit, schon machen wir uns endgültig auf den Weg zum Flughafen, nehmen Abschied von Susan und wenige Stunden später sind wir wieder in München. Im Gepäck das eine oder andere ‚grüne‘ Mitbringsel, im Kopf viele neue Ideen für unsere eigenen grünen Oasen.